Tag 31 Santiago de Compostela – Finale

Es sind jetzt schon wieder drei Tage, seit ich in Santiago angekommen bin. Nachdem ich ja schon vier mal in Santiago war, könnte man denken, dass man abstumpft – die Ankunft nichts besonders mehr ist. Tatsächlich war das eine meiner Befürchtungen – die Ankunft als etwas nichts großes mehr zu empfinden.

Ich war am Vortag ja bis nach Lavacolla gegangen. Zwischen Sarria und Santiago waren in den letzten Tagen wirklich unglaublich viele Menschen unterwegs – und ich schreibe bewusst nicht Pilger. Es hat sicherlich an der Semana Santa und dem ersten Mai gelegen, dass es so viele waren, aber unabhängig davon, empfand ich die Massen an Menschen auf den letzten 100km, die laut waren und sich johlend oder mit lauter Musik im Gepäck durch die Ortschaften und über die Pilgerwege walzten, als respektlos und anstrengend – anstrengender als die eigentliche Tour!

Die Herberge in Lavacolla war recht angenehm, die Betten gut und in der Küche gab es noch Reste, die ich kochen konnte – was gut war, denn da Sonntag war, hatten alle Läden zu.

Die Nacht war leider nicht so ruhig – direkt in der Koje neben meinem Bett lag jemand, der alle bisherigen Lautstärke- und Frequenzrekorde fürs Schnarchen überboten hat. Aber ich wollte ja eh früh raus – also bin ich halb sechs aufgestanden, habe meine Sachen zusammengesammelt und bin raus aus dem Schlafsaal. Als ich die Treppe hinab bin, habe ich aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse und meiner noch nicht eingesetzten Kontaktlinsen, die letzte Stufe nicht gesehen, dachte ich sei schon ganz unten und bin so blöd aufgetreten, dass ich umgeknickt und gestürzt bin – da lag ich nun neben meinem Rucksack wie ein Marienkäfer auf dem Rücken, hatte Schmerzen und ging im Kopf die Funktionsfähigkeit meiner Gelenke durch – es hat wehgetan aber ich hatte Glück – weder verstaucht, noch kaputt – nur ein wenig gezerrt aber das würde sich rauslaufen. Trotzdem war ich echt bedient … meine Sachen zusammengepackt habe ich mich fertig angezogen und zugesehen, dass ich wegkomme – ein Fehler, denn durch den Sturz war ich so abgelenkt, dass ich nicht noch man auf die Idee gekommen bin, meine Sachen zu kontrollieren – erst eine Stunde später hat sich herausgestellt, dass ich mein geliebtes Pilgertuch nun doch endgültig zurückgelassen hatte – auf dem Fenstersims, wo ich es zum trocknen aufgehängt hatte …

Umkehren war keine Option … ich war schon am Pilgerdenkmal und konnte die Stadt sehen – inzwischen hatten sich andere bekannte und unbekannte Gesichter eingefunden, und wir ginge gemeinsam in die Stadt auf den Platz der Kathedrale von Santiago zum Kilometerstein 0,000.

Da standen wir nun erleichtert, müde, überwältigt und von Tränen überströmt … Ich dachte ja noch, es sei nichts besonderes aber tatsächlich ist jedes Mal in Santiago anzukommen ein neues und unbeschreibliches Gefühl … wir machten Fotos, und dann ging es ins Pilgerbüro. Danach trafen wir uns wieder auf dem Platz, begrüßten andere bekannte Gesichter – rümpften ein wenig die Nase über die Touregrinos, die sich auch langsam einfanden. Es dauerte einige Zeit – dann verabredeten wir uns zum Lunch, zur Kirche und zum Feiern – für mich ging es ins Quartier … auspacken, ausruhen, schlafen – ich war wirklich müde.

Am Abend ging es in die Kirche – ich war so abgelenkt und im Santiago Feeling, dass ich alles andere vergaß – ich traf Joe und Marina wieder, mit denen ich die letzten Tage immer wieder gegangen war. Joe und ich haben uns mittlerweile ein richtig angefreundet. Wir verstanden uns inzwischen wirklich gut und jeder freute sich für den anderen. Er hatte auch super Plätze in der Kathedrale für uns alle gesichert, so dass wir die Pilgermesse genießen konnten. Er war auch ein wenig für mich zum Vorbild geworden, denn dadurch dass er kein Smartphone mitgenommen hatte, hattet uns alle dazu inspiriert sich unsere Telefone in den Taschen zu lassen – es gab mal keine Fotos oder Videos von der Messe – wir genossen einfach den Augenblick, die Stimmung und auch die Botafumeiro und das war wirklich schön!

Im Anschluss gingen wir feiern … Wir wanderten von Bar zu Bar, besuchten Fuco Louiz (er erinnerte sich sogar an mich), saßen vor dem Schatten des einsamen Mönchs und erzählten uns die unterschiedlichen Geschichten, die es zum Mönch gab. Um 1 Uhr verabschiedeten wir uns – Marina und Joe wollten am nächsten Tag Richtung Fisterra aufbrechen, aber wir hatten verabredet uns noch mal am nächsten Tag auf dem Platz der Kathedrale zu treffen, um die anderen Pilger, denen wir im Laufe der Zeit über den Weg gelaufene waren, in Santiago zu begrüßen …

Den Rest des Tages nutzte ich, um mich auszuruhen, Einkäufe zu machen und mich in der Stadt umzusehen – mir war nicht mehr nach großen Parties – ich wollte nur noch nach Hause!

Mein Fazit: Ich bin ja nun schon einige Wege gegangen – aus unterschiedlichsten Gründen.

Alle hatten ihre Schönheit, ihre Eigenheiten aber den Frances zu gehen ist tatsächlich ein durchaus anderes Erlebnis, als bei allen anderen Wege.

Er ist nicht schöner oder besser … es sind die vielen Menschen die man auf diesem Weg trifft und die Pilgergemeinschaft die sich dadurch bildet. Die Pilgergemeinschaft hat mehr Zeit, als z.B. auf dem Primitovo oder dem Portuguese – beides Wege, auf denen auch viele Pilger unterwegs sind aber eben auch beides Wege, in denen mehr Menschen unterwegs sind, die andere Motive haben, fitter, jünger oder erfahrener sind – sicher gibt es dort auch „echte“ Pilger … aber die Zeit reicht oft nicht, um sich zu finden. Der Norte bietet zwar die Zeit, allerdings sind hier nur vergleichsweise wenige Pilger unterwegs – gerade zu der Zeit in der ich bislang unterwegs war, ist es schwer andere Pilger zu treffen – eine große Gemeinschaft bildet sich ungleich schwerer.

Der Frances ist der bekannteste und abwechslungsreichere Pilgerweg – wenn Menschen ans Pilgern denken, dann an diesen Weg. Damit finden sich dort auch Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen kommen, oft traurige oder schwere Erfahrungen machen mussten und die Zeit auf den Weg für sich nutzen. Auf 800km und in knapp 5 Wochen läuft man sich zwangsläufig immer wieder mal über den Weg – irgendwann kommt man ins Gespräch – hört sich zu oder kann erzählen. Diese Gemeinschaft, die sich hier bilden kann, habe ich als sehr schön und hilfreich empfunden – sie ist in meinen Augen das, was diesen Weg zu etwas besonderem macht.

Alles in allem war ich 31 Tage unterwegs – habe unterwegs drei Tage Pause eingelegt und dazwischen etwas über 800km zu Fuß zurückgelegt. Für mich habe ich festgestellt, dass dieser Camino wieder mal anders war und ich keinerlei Gewöhnung feststellen konnte – ich konnte nur durch meine bisherige Erfahrung die ein oder andere Klippe umschiffen und wusste besser mit Schwierigkeiten umzugehen – trotzdem bin ich nicht vor Blasen gefeit und trotzdem kann ich mein Gepäck weiter optimieren. Man lernt immer wieder sehr viel über sich auf einem solchen Weg – nichts davon ist unwichtig – es macht uns zu den Menschen, die wir sind!

¡Ich komme wieder – soviel ist sicher! Buen Camino!

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